Jürgen Saalwächter
Saalwächter

Reden

"Der Faktor Mensch", Rede von Jürgen Saalwächter vor Mitarbeitern der SPOERLE-Gruppe im Mai 1995

Wir sind hier heute zusammengekommen, um an einem Meeting teilzunehmen,... an einem Strategie-Meeting! Vielleicht erwarten jetzt einige, daß wir, daß ich Ihnen die Strategie für die kommenden Jahre verkünden will,... die Strategie, mit der wir erfolgreich sein wollen,... der Organisationsstruktur, mit der wir das schaffen wollen.

Vielleicht erwarten Sie Antworten auf die Frage: "Was machen wir in Zukunft?" Dieser oder ähnlicher Erwartungshaltungen kann ich nicht entsprechen. Ich kann Ihnen keine definitive Strategie verkünden - und ich denke, das gilt auch für die anderen Mitglieder der Geschäftsleitung.

Keiner kann Ihnen sagen, wie wir in 4 oder 5 Jahren aussehen,... wie wir strukturiert sind,... was wir in Zukunft erleben und machen. Sicher, ich - oder besser die Geschäftsleitung - wir haben unsere Ideen und auch Vorstellungen un können die Richtung vorgeben.

Wenn man z.B. weiß, daß man nach Süden, nach Italien will, dann kann man von hier aus 500 km nach Süden fahren. Und erst dann muss man sich entscheiden, ob an an die Adria oder an die Riviera fährt und dann... vielleicht sogar weiter nach Süditalien.

Wir sind auf einer permanenten Reise und wissen, in welche Richtung wir wollen - den Endpunkt unserer Reise kennen wir nicht. Während unserer Reise müssen wir aber bereit sein, auch mal einen Umweg in Kauf zu nehmen, nur die grobe Richtung dürfen wir nicht verlieren.

Flexibilität und Anpassungsfähigkeit müssen neben unserem festen Willen, die grobe Richtung einzuhalten, unsere Weggefährten sein. Flexibilität und Anpassungsfähigkeit brauchen wir als Weggefährten, die es uns ermöglichen, situationsbedingt Änderungen vorzunehmen, wenn es erforderlich ist - sogar die Richtung kann man ändern, wenn ein Umweg angebracht erscheint. Wie sagt man so schön: "Eine lange Kurve ist auch eine Gerade!"

In meiner Rede anläßlich des Staff-Meetings im April letzten Jahres sprach ich davon, daß sich unser Firmenstil ändern muß, daß wir - die Menschen - uns ändern müssen, wenn wir im Jahre 1999 - wenn SPOERLE längst ein Unternehmen mit 1 Milliarde Umsatz geworden ist - weiter so erfolgreich sein wollen.

Wenn man die Reise mit einem Panzer begonnen und alles niedergewalzt hat, was einem im Weg war, heißt das noch lange nicht, dass man die Reise - wenn man einen bestimmten Punkt erreicht hat - auch mit einem Panzer weiterfahren muss. Man kann auch mit einer schnellen Limousine weiterfahren und trotzdem die Richtung beibehalten.

Ich sprach davon, daß wir Manager brauchen, die morgens aufwachen und wissen, was sie machen sollen... und nicht darauf warten, was das Hauptquartier denn heute entscheidet,... von Managern, die Verantwortung übernehmen, aber auch nach Rat fragen, wenn sie unsicher sind und die ein offenes Ohr (und die Zeit) für ihre Mitarbeiter haben,... Manager, die ihre Mitarbeiter coachen, auf ihre Mitarbeiter hören und ihren Mitarbeitern Verantwortung übertragen... ihre Mitarbeiter mehr beachten.

Ich sprach davon, daß wir förderungswürdige Mitarbeiter - wie der Begriff auch schon sagt - fördern wollen und davon, daß wir lernen Leute einzustellen, die besser sind als wir selbst.

Ich sprach vom Faktor Mensch, vom Faktor Mensch im Unternehmen!

Zufälligerweise, tatsächlich zufälligerweise ist mir vor zwei Tagen ein Studienbericht von Watson Wyatt Worldwide genau zu diesem Thema in die Hände gefallen: Ein Studienbericht zum Faktor Mensch! Über diesen Bericht will ich nun einiges erzählen, was mir wichtig erscheint:

In den letzten Jahren hat eine Welle von organisatorischen Erneuerungen, Umstrukturierungen und Fusionen die Welt überflutet. Sie alle können dies sicher nachvollziehen,... denken Sie alleine nur an uns, an die Gruppe SPOERLE. Statt zurückzugehen, steigt diese Flut weiter an - organisatorische Veränderungen sind zur Konstante in einer Geschäftswelt geworden, die auf den Druck von internationalem Wettbewerb und Kundenanforderungen reagieren muß. Oftmals halfen die eingeleiteten Veränderungen, die gesteckten Ziele zu erreichen... aber genauso oft nutzten sie nichts.

Wir müssen uns also fragen, welches die Faktoren sind, die den organisatorischen Veränderugen zum Erfolg verhelfen oder nicht. Was denken Sie: von welchen Schlüsselfaktoren hängt Ihrer Meinung nach der Geschäftserfolg ab?

Lassen Sie uns doch mal 10 Minuten Zeit nehmen und versuchen, die wichtigsten Faktoren, die Erfolgsfaktoren aufzuschreiben - am besten jeder für sich. Was also meinen Sie,... was beschert den erfolgreichen Firmen den Erfolg beziehungsweise den Mißerfolg?

Folie "Erfolgsfaktoren" einblenden

  1. Führungsqualität
  2. Arbeitsproduktivität
  3. Mitarbeiterengagement

Der Geschäftserfolg hängt von einigen wenigen Schlüsselfaktoren ab, insbesondere aber von Führungsqualität, Arbeitsproduktivität und Mitarbeiterengagement.

Dies wurde unter anderem in der erwähnten Studie von Watson Wyatt Worldwide festgestellt, an der 1.800 Führungskräfte in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Japan und USA teilgenommen haben.

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Führungsqualität gilt weltweit als wichtigster Erfolgsfaktor

Ein besonders kritischer Erfolgsfaktor im Zeitalter des permanenten Wandels ist die Führungsqualität und demzufolge kommt der Rolle der Führungskräfte besondere Bedeutung zu. Wenn Unternehmen Ihre Organisations- und Führungsstrukturen neu definieren, müssen auch die Rollen der Führungskräfte neu definiert werden, ... und zwar nicht nur ganz oben auf Geschäftsleitungsebene, sondern auf allen Ebenen der Organisation.

Führungskräfte von heute müssen stärker denn je

Wertvorstellungen vermitteln

und Verhaltensweisen fördern

und zwar in der Art, daß diese den sich ständig wandelnden Aufgaben angemessen sind. Wichtig dabei ist vor allem,

die wechselseitige Kommunikation
mit den Mitarbeitern zu intensivieren

und

die Mitarbeiter stärker in
Entscheidungsprozesse einzubeziehen.

Viele wissen das und reden davon, aber nach wie vor klafft in den meisten Firmen eine große Lücke zwischen dem Wissen um die Faktoren, die als für den Erfolg wichtig identifiziert wurden und dem Alltag, also dem was tag täglich in den Firmen praktiziert wird.

Betrachten wir doch einmal unser Unternehmen, die Firma SPOERLE ELECTRONIC... oder lassen Sie es mich noch etwas persönlicher machen, betrachten wir uns selbst: alle diejenigen, die vor ungefähr einem Jahr am 9. April 94 hier an gleicher Stelle bei meiner damaligen Rede anwesend waren. Was haben Sie seit damals verändert? Ich frage das ganz bewußt, da ich meine Rede damals als Anstoß zu einem Wandel verstanden wissen wollte. Was haben Sie also seit damals verändert?

Fragen Sie sich einmal selbst:

  • Habe ich mir mehr Zeit für meine Mitarbeiter genommen?
  • Habe ich mit ihnen öfter, besser und klarer kommuniziert?
  • Wie war das in den vergangenen 12 Monaten mit mir als Coach?
  • Was denken eigentlich meine Mitarbeiter, wer bei uns die
    Entscheidungen trifft?
  • Haben sie genügend Freiraum sich zu entfalten, eigene Ideen zu
    entwickeln und aktiv am Geschehen, am Entscheidungsprozeß mitzuwirken?

Stellen Sie sich diese und ähnliche Fragen und geben Sie sich selbst die Antwort.

"People make it happen"

Mit Verlaub, ohne Ihnen,... ohne uns zu nahe treten zu wollen: Mag auch die Antwort zu der ein oder anderen Frage positiv ausfallen, so besteht doch immer noch reichlich Handlungsbedarf.

Viele Firmen haben die Wichtigkeit der Faktoren Mitarbeiterbeteiligung und Leistungsmotivation zur Erreichung der Unternehmensziele erkannt, aber die meisten - und ich glaube, wir können uns getrost dazuzählen - stellen sich nicht sehr geschickt an, wenn es gilt, die Beziehungen zu ihren Mitarbeitern - gerade in den Zeiten des permanenten Wandels - intensiver zu pflegen, Mitarbeiter stärker in Entscheidungsprozesse einzubeziehen, oder gar auf deren Vorschläge hin Initiativen zu ergreifen.

Mit dem Vollzug der Neuorganisation, der Umstrukturierung oder der Durchführung eines Schrumpfungsprozesses innerhalb eines Unternehmens, kommt danach eine weitaus schwierigere und größere Herausforderung auf das Management zu.

Die erfolgreiche Umsetzung der erforderlichen Neuerungen hängt ganz entscheidend von der Veränderungs- und Leistungsbereitschaft der Führungskräfte und Mitarbeiter ab.

Oftmals verhalten sich diese jedoch genauso wie vorher oder gar entgegengesetzt, vor allem aus Besitzstandsdenken und mangels Flexibilität. Sie denken und handeln als Opfer der Veränderungs prozesse und nicht als deren Steuermann.

Um dauerhafte Veränderungen mit Hilfe der Mitarbeiter umsetzen zu können, erfolgreich umsetzen zu können, müssen die Führungskräfte der Unternehmen die soziale Struktur aufbauen. Erst wenn das gelungen ist, werden die Mitarbeiter nicht mehr das Problem, sondern aktive Mitgestalter oder gar Antriebskräfte der gewünschten Veränderungen sein.

Hierzu ein Satz von Warron Bennis (wer auch immer das sein mag):

"Der Schlüssel zu einem Wettbewerbsvorteil in den neunziger Jahren und später, ist die Fähigkeit der Führungskräfte eine soziale Architektur aufzubauen, mit der intellektuelles Kapital erzeugt werden kann... organisatorische Erneuerungen und Umstrukturierungen sind nur bis zu einem gewissen Grad erfolgreich."

Oder etwas einfacher ausgedrückt, wie Sie das von mir schon des öfteren gehört haben: Unser Erfolg steht und fällt damit, daß alle mitdenken, mitgestalten, mitentscheiden. Unser Erfolg liegt in den kleinen Gruppen, die quasi als Unternehmen im Unternehmen arbeiten und flexibel auf die Herausforderungen in einer Epoche beispiellosen Wandels reagieren können.

Diese Abbildung zeigt, wieviele Unternehmen welche organisatorischen Veränderungen innerhalb der letzten 2 Jahre durchgeführt haben:

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  • Personalabbau 64%
  • Restrukturierung 79%
  • Unternehmensfusion 41%
  • Veräußerung von Unternehmensteilen 26%

2/3 aller befragten Unternehmensleiter glauben, daß die gegenwärtigen Umstrukturierungsmaßnahmen im gleichen Maße fortschreiten oder bis ins 21. Jahrhundert noch weiter ansteigen werden. Wenn wir uns diese Punkte anschauen, dann kommen uns einige doch sicher bekannt vor, oder?

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Faktor Menschen

Die organisatorischen Veränderungen im Unternehmen betreffen Menschen. Verantwortungsbereiche verschieben sich. Hierarchische Strukturen verändern sich z.B. durch starke Dezentralisierung von Entscheidungskompetenzen und Verantwortung oder z.B. durch stärkere Zentralisierung von Kompetenz und Verantwortung. Wie dem auch sei: bisherige Traditionen und Werte werden in Frage gestellt. Und alle diese Veränderungen bewirken eine Umgestaltung der Rolle, die die Führungskräfte spielen müssen.

Das Problem dabei ist nur, daß die neue Rolle, die die Führungskräfte spielen müssen, sich schneller entwickelt, als das Verhalten der Führungskräfte selbst. Im zunehmenden Maße läuft diese Frage nach Gestaltung der neuen Führungsrollen darauf hinaus, wie Führungskräfte ihre Mitarbeiter für Ziele begeistern, zu Leistungen motivieren und beruflich entwickeln können.

Damit kommen wir zu einem Thema, das wir schon des öfteren diskutiert haben:

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Die Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitern

Anknüpfend an das vorher gesagte, muß der Ausbildung und Weiterbildung der Mitarbeiter in den nächsten Jahren große Bedeutung beigemessen werden. Organisatorische Veränderungen, Wettbewerbsdruck und neue Technologien erfordern ständige Lernbereitschaft, und das von jedem einzelnen. Speziell zu diesem Thema müssen wir für 1996 ein Konzept entwickeln, welches nicht nur den Führungskräften Weiterbildung anbietet, sondern auch anderen Zielgruppen speziell im Vertrieb und Marketing.

Viele werden jetzt sagen: "Wir haben ja schon immer gesagt, daß unsere VB's geschult werden müssen, nur Herr Saalwächter war dagegen und hat das deshalb immer wieder weggeschoben."

Und die das sagen haben recht!

Aber wenn ich immer wieder von Flexibilität und Änderungsbereitschaft rede, oder diese Eigenschaften bei allen einfordere, so gilt das natürlich auch für mich! Auch ich muß dem Wandel Tribut zollen und meine Ansichten den Zeiten beziehungsweise den Notwendigkeiten entsprechend immer wieder überdenken und wenn nötig anpassen. Wenn ich nun schon etwas abgeglitten und SPOERLE-spezifisch geworden bin, will ich noch einige andere Punkte anführen, die mir auf dem Herzen liegen und mit Entscheidungsfindung beziehungsweise deren Vorbereitung und Durchführung und mit dem eng damit verbundenen Mitarbeiterengagement zu tun haben.

Um Führungsqualität zu haben, muß man ein Führer sein - auch wenn dieses Wort bei uns nur mit Vorsicht zu gebrauchen ist. Aber es trifft den Nagel auf den Kopf.

Viele verwechseln Führer mit Manager,... setzen die beiden Begriffe gleich. Aber die Unterscheidung ist wichtig, denn rur die, die ziemlich weit oben sind, und das sind viele von Ihnen, genügt es nicht nur ein Manager zu sein. Man "managt", wenn man viele Sachen auf einmal tut, aber man führt nicht.

Führen heißt, seine Mitarbeiter / seine Gruppe vorwärts zu bringen. Das klingt sehr einfach, einfacher als "managen". Aber um dies zu schaffen, muß man seine Leute kennen - Charakter, Charisma haben und sich um seine Leute kümmern. Man muß Kompetenz ausstrahlen, denn niemand will und wird vernünftig einem folgen, der einen inkompetenten Eindruck macht.

Man muß Respekt haben, Respekt vor den Kollegen, Respekt vor allem auch vor denen, die, wie man so schön sagt, unter einem stehen. Man muß sich auch Respekt verdienen, durch Gerechtigkeit, Ehrlichkeit, Offenheit und Toleranz. Man muß weniger attraktive im Schlabberlook genauso behandeln wie die, die auch ohne weiteres den Schreibtisch mit dem Laufsteg tauschen könnten.

Und man muß sich eines merken:

"Wenn Du oben bist, tritt nicht nach unten, sondern hilf denen die unten sind hoch!"

Wichtig ist auch, daß man alle wissen läßt, was los ist. Man kann niemals genug sagen, genug informieren, niemals genug kommunizieren. Es gehört auch dazu, daß man Fehler macht, denn nur aus Fehlem kann man bekanntlich lernen, denn "wenn man nicht schießt, kann man auch nicht treffen."

Wichtig ist auch, daß wir Leute haben, die uns sagen, was wir besser machen können. Wir brauchen Feedback von Anderen... von Kollegen, genauso wie von Mitarbeitern. Und man muß sich vor Augen ruhren, gerade weil wir heute so viel von Wandel, von Veränderung gesprochen haben... daß Führer an der Spitze der Veränderung stehen müssen. Sie haben den Wandel anzuruhren und nicht ihm zu folgen.

Wir müssen miteinander telefonieren, müssen uns treffen und müssen eine Familie sein. Heute haben wir uns getroffen und der Anlaß ist unser Strategie-Meeting. Sie alle sollen die Möglichkeit haben, die Strategie der nächsten Jahre mitbestimmen zu können, damit Sie sich rur die Ziele des Unternehmens engagieren und maßgeblichen Anteil am Erfolg haben können.

Bedenken Sie jedoch, daß es nicht die Strategie ist, die ein Unternehmen erfolgreich macht, sondern die Ausführung der Strategie. Und dazu braucht das Unternehmen Sie, die Führungskräfte. Verzeihen Sie mir, wenn ich jetzt am Ende meiner Rede etwas lehrmeisterhaft geworden bin. Aber ich hoffe, Sie verstehen meine nicht als Belehrung gedachten Worte als einen Einstieg in das beginnende Meeting und als hilfreiche Ansatzpunkte rur Ihre eigenen Überlegungen.

Vielen Dank!


 
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