Jürgen Saalwächter
Saalwächter

Weihnachtsbrief 2006

Die Weihnachtsstimmung, die Weihnachtsgefühle wollen sich nicht so recht einstellen. Die Wiesen sind grün und matschig - selbst auf fast 1000 Metern bei uns in Österreich - alles noch grün! In den Skigebieten stehen die Lifte still und die Winterjacken blieben bisher im Schrank. Die Glühweinverkäufer auf den Weihnachtsmärkten stehen sich die Füße in den Bauch. Im frostigen Vorjahr standen wir noch frierend Schlange vor den Glühweinständen und konnten beobachten, wie die Verkäufer Dutzende von Bechern mit einem einzigen Schwung aus der Kelle füllten. Dieses Jahr trinken viele Bier und Cola - denn wer will bei Nieselregen und Temperaturen um die 10 Grad plus schon Glühwein? Allerdings lässt ein Blick auf den Kalender keine Zweifel aufkommen...
Weihnachten ist auch dieses Jahr am 24. Dezember - und das ist kommenden Sonntag! Und...

Weihnachten ist das Fest der Familie!

Die "Kinder" besuchen ihre Eltern, denn längst schon wohnt man nicht mehr zusammen. Die meisten - mögen sie auch noch so alt sein - reisen an einen Ort, den man gemeinhin "Zu Hause" nennt. Dort angekommen, umschließen einen sogleich die gewohnten Rituale:

"Ihr seid es, wie schön, wie war die Fahrt,
seid ihr gut durchgekommen?"
"Ja, es ging. Wie geht's Euch?"
"Ach immer so weiter, nichts Neues im Westen.
Aber kommt doch erstmal rein, es geht gleich los."

...und aus der Küche dringt der Duft der Weihnachtsgans, die allerdings noch etwas warten muss, denn vorher kommen noch die Weihnachtslieder... und - natürlich - die Bescherung!

Das alles hört sich alles sehr banal an, aber diese Worte signalisieren: Man ist zu Hause. Man kann plötzlich wieder Kind sein, man kann - zumindest für kurze Zeit - die eigene Verantwortung für das Leben vergessen. Die Wärme der Familie breitet sich aus. Man wird betutelt und gemästet und alle guten Vorsätze "dieses Mal ess' ich nicht soviel" sind zum Teufel, pardon es ist ja Weihnachten... sind vergessen.

Es scheint, als hätte sich das Rad der Zeit zurückgedreht, man spricht über Vergangenes, über die "gute alte Zeit" und keinen stört es, dass es die gleichen Themen sind, die man schon die letzten Jahre auf dem Tablett hatte.

"Kannst Du Dich noch an dies oder das erinnern, was macht eigentlich die Soundso und weißt Du noch wie Du... etc."

Und dann wird festgestellt, dass früher alles besser war und dass heutzutage die Zeit viel schneller vergeht als früher. Versteht mich nicht falsch, ich will das auf gar keinen Fall kritisieren, ganz im Gegenteil: Ich liebe das!

Aber manchmal frage ich mich doch: Wann war eigentlich die gute, alte Zeit?

Als Autofahren noch billiger war als Parken?
Als die Luft noch sauber und der Sex schmutzig war?
Als wir abends statt fernzusehen oder statt im Internet zu surfen, Karten gespielt haben?
Als man sich spontan besucht hat, antatt zu telefonieren oder sich eine SMS zu schreiben?

Oder war die gute alte Zeit einfach die Zeit, von der wir das Schlechte aus unserem Gedächtnis gestrichen haben, genauso wie unsere Kinder und unsere Enkel es von unserer heutigen Zeit tun werden. In zehn, zwanzig Jahren ist unsere heutige Zeit nämlich die, die "gute, alte Zeit" genannt wird. Zeit ist relativ.

Für den einen ist ein Tag zu lang, für den anderen ist ein Tag zu kurz.
Für die, die hoffnungslos leiden, ist das Leben zu lang.
Für die, die gesund und glücklich sind, ist das Leben zu kurz.

Zu den Bedauernswerten, die hoffnungslos leiden, gehört z.B. meine Mama. Sie liegt nun schon seit 2 Jahren mit Schmerzen im Bett und wird über eine Magensonde ernährt. Und bei Gabis Oma steht es nicht besser. Sie bekommt keine Luft, ihr Herz will nicht mehr und fesselt sie ans Bett. Von Beiden war doch schon mal das eine oder andere "ich will nicht mehr" zu hören. Beide haben wenig Hoffnung, dass sich der momentane Zustand ändert. Traurig für beide und auch traurig für alle Angehörigen. Wird einem doch hier brutalst vor Augen geführt wie schnell sich doch das Leben ändern kann. Plätzlich ist man nicht mehr "Herr" über sich selbst, man ist auf die Hilfe anderer angewiesen und kann nur noch bedingt am Leben teilnehmen.

Als Angehöriger erwischt man sich dann bei dem Gedanken "Hoffentlich geht's Dir mal nicht auch so; Hoffentlich tut's einen Schlag und es ist alles vorbei". Und vorbei sein wird es irgendwann mal... nur wann ist der rechte Zeitpunkt? Diese Frage kann - Gott sei Dank - nur Einer beantworten. Nur der liebe Gott bestimmt, wann er uns zu sich holt... nicht wir! Wenn wir Glück haben und gesund sind, können wir versuchen, unser Leben ein bisschen zu bestimmen. Viele Möglichkeiten bieten sich hierfür an. Ich weiß nicht, wie viele es noch gibt, aber 300 hat Gracian im Buch "Handorakel und Kunst der Weltklugheit" zusammengefasst. Eine davon möchte ich heute zitieren:

NICHT HASTIG LEBEN!

Nach der Übersetzung von Arthur Schopenhauer heisst es hierzu:

"Die Sachen zu verteilen wissen, heisst sie zu geniessen verstehen. Viele sind mit ihrem Glück früher als mit ihrem Leben zu Ende; sie verderben sich die Genüsse, ohne ihrer froh zu werden und nachher möchten sie umkehren, wenn sie ihres weiten Vorsprungs inne werden. Sie sind Postillione des Lebens, die zu dem allgemeinen raschen Lauf der Zeit noch das ihnen eigene Stürzen hinzufügen. Sie möchten in einem Tag verschlingen, was sie kaum im ganzen Leben verdauen könnten. Vor den Freuden des Lebens sind sie immer voraus, verzehren schon die kommenden Jahre und da sie so eilig sind, werden sie schnell mit allem fertig. Man soll sogar im Durst nach Wissen ein vernünftiges Mass beobachten, damit man nicht die Dinge lerne, welches es besser wäre nicht zu wissen. Wir haben mehr Tage als Freuden zu erleben. Man sei langsam im Geniessen, schnell im Wirken; denn die Geschäfte sieht man gerne, die Genüsse ungern beendigt."

Als ich das las, dünkte mir, solches schon einmal - wenn auch länger zurückliegend - in einfacherer Form gehört und sodann zur gefälligen Beachtung niedergeschrieben zu haben. Erinnert ihr Euch noch an den Weihnachtsbrief vom 23.12.1994, damals die Geschichte über Geduld von Heinrich Spoerl?

Zum Weihnachtsbrief 1994

Ich wünsche allen, die das lesen, ein gesegnetes Weihnachten und Zeit für besinnliche Stunden.

Euer Jürgen

P.S.

Irgendwie hat mich ein Passus der Einleitung dieses erwähnten Weihnachtsbriefes von 1994 bewegt. "Unser Unternehmen, das sind seine Menschen: das sind Sie. Ihre Ideen, ihre Kreativität, ihr Einsatz haben uns mit 700 Millionen das beste Ergebnis in der Firmengeschichte beschert" Einige dieser Menschen vermisse ich schon; einige davon sind nach wie vor an ihrem alten Arbeitsplatz, andere haben den Arbeitgeber gewechselt oder sind vorher oder zu gleicher Zeit mit mir ausgeschieden. Komisch, man verbringt 20 oder 25 Jahre 10 bis 12 Stunden am Tag zusammen und dann verliert man sich aus den Augen!

Und noch etwas fand ich bemerkenswert: ""700 Millionen" Ich fand es damals wohl für überflüssig die Währung mit anzugeben. Nun,.. 1994 waren das ja wohl noch "Deutschmark". 10 Jahre später, als ich meine aktive Tätigkeit beendet habe, also Dezember 2004, lag unser Umsatz bei 1 Milliarde,... allerdings Euro. Fast eine Verdreifachung des Umsatzes in 10 Jahren. Eigentlich doch gar nicht so schlecht.

Schön, dass ich dabei sein durfte.
Schön allerdings auch, dass ich nicht mehr dabei bin.


 
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